Loneliness City Index 2024: Deutschland

Intro

Die Zahl der Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, hat laut wissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten Jahren stark zugenommen. Vor allem die Lockdown-Beschränkungen der Corona-Pandemie führten zu einem sprunghaften Anstieg von Einsamkeit. Doch wie sieht die aktuelle Lage aus? Wo in Deutschland leiden die Menschen am stärksten unter Einsamkeit – und warum? Der Loneliness City Index 2024 von CHOICE gibt auf diese Fragen Antworten.

Definition: Was ist Einsamkeit?

In der Sozialwissenschaft koexistieren viele verschiedene Definitionen von Einsamkeit. Die meistzitierte ist jedoch die nach Peplau und Perlman (1982). Sie beschreibt Einsamkeit als “the unpleasant experience that occurs when a person’s network of social relations is deficient in some important way, either quantitatively or qualitatively”.

Im Kern dieser Theorie stehen zwei Komponenten, die miteinander verglichen werden: die gewünschten vs. die tatsächlichen sozialen Beziehungen. Wenn wir davon ausgehen, dass alle Menschen ein Grundbedürfnis nach sozialen Beziehungen haben, lässt sich Einsamkeit als die Abwesenheit eines “networks of social relations” charakterisieren. Dass sie dabei verschiedene Formen annehmen kann, wird durch folgende Auflistung verdeutlicht:

Emotionale Einsamkeit: Fehlen einer engen, intimen Bindung bzw. einer Person, der man vertrauen kann und die einen als Person bestätigt.

Soziale Einsamkeit: Fehlen von guten Beziehungen zu Freunden oder Familie bzw. Fehlen eines größeren sozialen Netzwerkes.

Kollektive Einsamkeit: Fehlende Zugehörigkeit zu einer größeren Gruppe oder Gemeinschaft.

Physische Einsamkeit: Fehlen von körperlicher Nähe.

Diese vier Formen dienen dem CHOICE Loneliness City Index 2024 als Grundlage.

Unser Vorgehen

Um die Einsamkeit in den größten Städten Deutschlands zu untersuchen, haben wir eine umfassende soziodemographische Analyse basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Studien, Umfragen und statistischen Daten durchgeführt. Wir haben außerdem verschiedene Faktoren berücksichtigt, welche die Einsamkeit vor Ort beeinflussen, darunter die Anzahl der Alleinstehenden, Ehescheidungen vs. Eheschließungen, Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung, Zugang zu Sport- und Unterhaltungs-, Intimitäts- und Gesundheitsangeboten.

Ergebnisse: Sag mir, wo du wohnst, ...

In allen Regionen Deutschlands erleben Menschen Einsamkeit – aber nicht im gleichen Ausmaß. Wie unsere Untersuchung zeigt, gibt es Städte und Regionen, die stärker von Einsamkeit betroffen sind, als andere. Die Ergebnisse im Vergleich:

Eine PDF Version des CHOICE Loneliness City Index 2024 für Deutschland kann hier heruntergeladen werden.

Städte mit erhöhter Einsamkeit

Duisburg ist die Stadt, in der Menschen laut unserer Untersuchung am stärksten von Einsamkeit betroffen sind (nur 23.7 von möglichen 100 Punkten). Vor allem in den Kategorien Unterhaltung, Intimität und Gesundheit erzielt die Stadt im Ruhrgebiet die niedrigsten Werte. Und: In keiner Stadt, die wir im Index untersucht haben, werden Ehen häufiger geschieden.

Auf dem 2.Platz liegt Leipzig (31.3 Punkte). Dass die Stadt im Osten Deutschlands so weit oben in unserem Index landet, hat uns zugegebenermaßen überrascht, ist sie doch - eigentlich - für einen jungen, hippen Lifestyle bekannt. Trotzdem schneidet sie im Vergleich zu anderen Großstädten des Landes weit unterdurchschnittlich ab – vor allem was strukturelle Fragen wie der Anteil Alleinstehender, die Anzahl von Ehescheidungen und die lokale Gesundheitsversorgung betrifft.

Mit Dresden (32.9 Punkte) geht auch der dritte Platz in unserer Einsamkeits-Rangliste nach Ostdeutschland. Die Vermutung liegt daher nahe: Sind ostdeutsche Regionen vielleicht grundsätzlich stärker von Einsamkeit betroffen?

Arik Brückner, Gründer von CHOICE, erklärt dazu: "Die hohe Einsamkeit in Städten wie Duisburg. Leipzig und Dresden zeigen deutlich, dass strukturelle Faktoren für das Wohlbefinden der Menschen vor Ort entscheidend sind. In diesen Regionen wäre es wichtig und notwendig, in gemeinschaftsfördernde Maßnahmen zu investieren und Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie der Einsamkeit entfliehen können. Hier setzt unter anderem auch das Konzept von bezahlter Gesellschaft als Interventionsmechanismus von Einsamkeit nach John T. Cacioppo, dem Gründer der sozialen Neurowissenschaften, an."

Städte mit niedriger Einsamkeit

Dass Köln (59.4) in unserem Ranking auf dem letzten Platz landet, ist in diesem Fall für die Stadt eine gute Nachricht. Hier sind - auf Basis unserer Indikatoren - vergleichsweise wenige Menschen von Einsamkeit betroffen. Die Rheinmetropole überzeugt vor allem aufgrund ihrer vielseitigen Sport- und Unterhaltungsangebote und einer guten gesundheitlichen Versorgung. Dass auch körperliche Nähe (Intimität) hier gelebt werden kann, dürfte in der weltoffenen Karnevals- und LGBTIQ-Hochburg nur wenige überraschen.

Auch in Frankfurt am Main (58.6) und Stuttgart (54.6) sind insgesamt weniger Menschen von Einsamkeit betroffen. Frankfurt zeigt in fast allen Kategorien Spitzenwerte - und: In keiner Stadt haben die Menschen einen höhere Lebenszufriedenheit. Stuttgart hingegen überzeugt vor allem mit einer vergleichsweise hohen Lebenserwartung (82,43 Jahre) und einer moderaten Scheidungsrate. Auch die Gesundheitsangebote sind in beiden Städten zufriedenstellend.

Arik Brückner schätzt das gute Abschneiden dieser Städte wie folgt ein: "Die niedrige Einsamkeit in Köln, Frankfurt und Stuttgart zeigt, dass ein starkes soziales Netz und vielfältige Unterhaltungs- und Freizeitangebote einen großen Unterschied machen können. Die Städte sind echte Vorbilder dafür, wie durch eine offene, inklusive Kultur das Wohlbefinden aller Bewohner gesteigert werden kann."

Den Teufelskreis der Hypervigilanz durchbrechen

Über 30% der Weltbevölkerung leidet unter Einsamkeit. Der CHOICE Loneliness City Index 2024 zeigt: Auch in Deutschland ist Einsamkeit ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das regional jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Neben Duisburg scheint besonders der Osten des Landes von Strukturen betroffen zu sein, welche die Einsamkeit fördern: Mit Leipzig und Dresden sind gleich zwei ostdeutsche Städte weit vorne in unserem Ranking vertreten.

Wie dem Phänomen begegnen? Wo ansetzen? Arik Brückner erklärt: „Um das globale Problem der Einsamkeit anzugehen, braucht es neue, moderne Ansätze. Technologie kann in dieser Hinsicht unterstützen. Als Buchungsplattform für bezahlte Gesellschaft können wir dafür sorgen, dass Einsamkeit nicht länger ein Tabuthema ist und betroffene Menschen unkompliziert und schnell Gesellschaft als Teil ihrer persönlichen Wellness als Dienstleistung beziehen können. Dies unterstützt dann auch den Prozess wieder selbstständig soziale Kontakte knüpfen zu können und den Teufelskreis der Hypervigilanz von Einsamkeit zu unterbrechen.”

Klar ist: Einsamkeit ist ein komplexes Phänomen vielschichtiger Ursachen. Um ihm zu begegnen, ist es notwendig, gemeinschaftliche Erlebnisse zu ermöglichen – lokal vor Ort, aber auch im digitalen Raum. CHOICE als Plattform für bezahlte Gesellschaft nimmt in diesem Kontext eine wichtige Rolle ein, indem sie Menschen eine Alternative zu herkömmlichen Kanälen bietet.

Quellen

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022): Strategie gegen Einsamkeit.

Peplau, L. A., & Perlman, D. (1982). Perspectives on loneliness.

Luhmann (2022). Definition und Formen der Einsamkeit.

Sozialverband Deutschland (2020). Gutachten Einsamkeit.

Loneliness, William Patrick & John T. Cacioppo, August 2008

Methodik für “Loneliness City Index 2024”

Um zu ermitteln, welche deutschen Städte am stärksten von Einsamkeit betroffen sind, wurden die 20 größten Städte des Landes auf verschiedene Faktoren hin untersucht. Dazu gehören die Anzahl von Alleinstehenden, Ehescheidungen und Eheschließungen sowie Angaben zur Lebenszufriedenheit und Lebenserwartung der örtlichen Bevölkerung. Auch die Anzahl von gemeinschaftlichen Treffpunkten, Unterhaltungs- und Intimitätsmöglichkeiten wurden untersucht. Ferner spielt das Thema Gesundheit in der Untersuchung eine wichtige Rolle. Hierfür wurde die Anzahl von psychotherapeutischen Beratungen sowie Spa & Wellness Einrichtungen ermittelt.Die Untersuchung wurde am 30.05.2024 abgeschlossen.

Faktoren, Definitionen und Quellen

Untersuchungsfeld 1: Strukturell

Alleinstehende: Informationen über die Anzahl von Alleinstehenden wurden den Angaben aus lokalen Tageszeitungen entnommen.

Ehescheidungen / Eheschließungen: Informationen zu Eheschließungen und Ehescheidungen stammen aus lokalen Tageszeitungen sowie aus Informationen des Statistischen Bundesamtes.

Lebenszufriedenheit: Die Angaben zur Lebenszufriedenheit stammen aus dem Gutachten “Einsamkeit” des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume für den Sozialverband Deutschland.

Lebenserwartung: Die Angaben zur Lebenserwartung stammen aus dem Wikipedia-Artikel “Liste der Landkreise nach Lebenserwartung”.

Untersuchungsfeld 2: Sport

Yoga: Informationen über die Anzahl von Yoga-Studios wurden dem internationalen

Empfehlungsportal Yelp entnommen.

Sportvereine: Informationen über die Anzahl von örtlichen Sportvereinen ist eine Schätzung, die mithilfe von OpenAI erstellt wurde.

Untersuchungsfeld 3: Unterhaltung

Kino: Informationen über die Anzahl von Kinos wurden dem internationalen Empfehlungsportal

Yelp entnommen.

LGBTIQ Bars: Informationen über die Anzahl von LGBTIQ Bars wurden dem internationalen Empfehlungsportal Yelp entnommen.

Seniorentreffs: Informationen über die Anzahl von Seniorentreffs wurden dem internationalen Empfehlungsportal Yelp entnommen.

Untersuchungsfeld 4: Intimität

Swingerclubs: Informationen über die Anzahl von Swingerclubs wurden der Swingerclub-Datenbank des Joyclubs entnommen. Hierzu wurde ein Radius von Ort + 10km gewählt.

Sexpositive Gruppen: Informationen über die Anzahl von sexpositiven Gruppen wurden der Gruppen-Datenbank der Fetisch-Community Fetlife entnommen.

Untersuchungsfeld 5: Gesundheit

Spa & Wellness: Informationen über Spa & Wellness-Angebote wurden dem internationalen

Empfehlungsportal Yelp entnommen.

Psychotherapeutische Praxen: Informationen über die Anzahl von psychotherapeutischen Praxen und Einrichtungen wurden den Ärztekammern der Länder entnommen.

Berechnung und Scoring

Um eine Rangliste zu berechnen, wurden alle Ergebnisse der untersuchten Einflussfaktoren auf einer Punkteskala von 0 bis 100 unter Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungsgrößen standardisiert (d.h. alle Ergebnisse wurden durch die Gesamtbevölkerung dividiert, wodurch ein Pro-Kopf Score erstellt wurde). Die Stadt, die im jeweiligen Einflussfaktor am besten abschnitt erhielt die Punktzahl 10. Die Stadt, die jeweiligen Einflussfaktor am schlechtesten abschnitt, erhielt die Punktzahl 0. Alle anderen Städte ordneten sich entsprechend ihres Ergebnisses dazwischen ein. Abschließend wurden alle Punkte zusammengezählt, woraus sich die endgültige Rangliste ergab.